Eluveitie: Helvetios

Dem Namen nach war der gallische Krieg ein rein „französisches“ Ereignis. Cäsar wollte sich als Statthalter der im Südosten des heutigen Frankreichs gelegenen Provinz Gallia Narbonensis einen Namen machen und suchte nach einem Vorwand für die Unterwerfung des restlichen, freien Galliens. Was wohl etwas weniger bekannt ist: Diesen Vorwand lieferten ihm unter anderem die Helvetier. Diese wollten wegen der zunehmenden Bedrohung durch die Germanen in Richtung Atlantikküste wandern und sich dort niederlassen. Auf dem Weg dorthin mussten sie jedoch durch das von den Römern kontrollierte Gebiet, was Cäsar ablehnte. Als sich die Helvetier nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließen, brach der gallische Krieg aus, der sich im aufe der Zeit auf das ganze Land ausdehnte. Der Ausgang des Krieges ist bekannt, die Allianz aus Galliern und Helvetiern wurde geschlagen und Gallien als römische Provinz ins Reich eingegliedert.

Einige Jahrzehnte später befinden wir uns in einem kleinen Dorf am Lagerfeuer. Unser Großvater sitzt uns gegenüber und erzählt uns von den Zeiten seiner Jugend, einer Zeit voll Abenteuer, Ungewissheit und Krieg. Die Dunkelheit bricht herein und im Feuer vor uns erwachen die Gestalten und Bilder der Erzählung zum Leben. Wir starren gebannt auf das Treiben und werden ins Jahr 58 v.Chr. zurückkatapultiert.

Mit dieser Szenerie beginnen Eluveitie ihr Album, das uns mitnimmt auf eine Zeitreise zu den Helvetiern und den Wirren des Gallischen Krieges. Beginnend mit stark folkloristisch angehauchten Stücken bekommt der Hörer einen Einblick in das Leben der Helvetier. Abwechslungsreich  und hochmelodisch wird das Volk der Helvetier gepriesen. Freie, unbeugsame Menschen, die tief in ihrer Kultur verwurzelt sind. Während der namensgebende Titeltrack mit wildem Violinenspiel, Chören und rauem Metal bereits einen großen Teil des musikalischen Spektrums der Band abdeckt, kommt im folgenden Luxtos die traditionelle Seite noch weitaus stärker zur Geltung. Spätestens wenn im beinahe poppigen Refrain auf rekonstruiertem Gallisch gesungen wird, stimmt die Atmosphäre völlig.

Während „Horne“ und vor allem „Santonian Shares“ zwar textlich schon den kommenden Abschied behandeln, wird dieser erst mit dem auffälligen Scorched Earth vollends umgesetzt. Härte man bis hierhin klassischen Folkmetal, so nimmt sich die Band hier vollkommen zurück, um den Abschied perfekt darzustellen. Traditionell verbrannten die Helvetier ihre alte Bleibe, bevor sie weiterzogen. Während man der klagenden Stimme Christoph Pelgens lauscht, sieht man regelrecht die verbrannten Ruinen des Heimatdorfes  vor dem morgendlichen Sonnenaufgang und spürt die Trauer, die ein Volk bewältigen muss, wenn es die Heimat verlässt. Untermalt lediglich mit Windrauschen und einigen sanften Streicher und Flötenklängen liefert dieser Folksong den letzten Ruhepunkt vor dem kommenden Krieg.

Nach dem Beginn der Reise und der Durchwanderung des feindlichen Gebietes kommt es zu ersten Scharmützeln und Toten. Entsprechend wird auch die Musik härter. Die Metalanteile nehmen zu und auch die Melodien werden nach und nach von immer häufiger auftretenden Knüppelattacken niedergerungen. Die Machtverhältnisse in diesem ungleichen Kampf zwischen den zwar tapferen, aber deutlich schlechter ausgerüsteten Helvetiern und dem auch zahlenmäßig vollkommen überlegenen Römischen Reich sind vollkommen klar. Musikalisch abgeschlossen wird dieser Teil des Albums mit einer von Drehleierspielerin Anna Murphy eingesungenen Anklage an die Göttin Epona.

Spätestens mit „Havoc“ beginnt dann der eigentliche Gallische Krieg mit dem Einfall Cäsars in Gallien. Melodisch gibt es nur noch minimalistisches, so dass Cäsars Truppen wie ein Sturmwind über die   ande ziehen. „The Uprising“ schlägt in dieselbe Kerbe, bringt aber mit dem Aufstieg Vercingetorix‘ einen Hoffnungsschimmer, der sich vollends im nachfolgenden Flötenzwischenspiel manifestiert. Doch was dieser Hoffnungsschimmer wert war, wissen wir heute. Im Gegensatz zu Asterix wurde gesamt Gallien überrannt. Den kriegerischen Höhepunkt erlebt das Album dann mit „The Siege“. Hier  herrscht nur noch pure Raserei. Heißeres Keifen mischt sich mit unbarmherzig vor sich hin treibenden Riffwänden und macht alles platt, was auf

seinem Weg liegt. Die Stadt Avaricum hatte keine Chance gegen das römische Heer, das sich nun mit Alesia der nächsten Stadt zuwenden kann. Der gleichnamige Titel ist wohl der Höhepunkt des Albums und gleichzeitig einer der schwärzesten  Momente des Gallischen Krieges. Die Römer belagerten die Stadt, so dass sich diese dazu entschied, alle Zivilisten aus ihren Mauern zu entlassen. Auch wenn bereits zur damaligen Zeit Zivilisten geschützt waren, ließ Cäsar die Frauen und Kinder nicht abziehen, so dass diese zwischen Heer und Stadtmauer elendiglich verhungerten. „Alesia“ ist somit eine Mischung aus ruhigen und schnelleren Passagen, die vom flehentlich vorgetragenen Duett-Refrain gekrönt werden und in einem beinahe sakral anmutenden Schlusschor enden.

Mit dem abschließenden  Uxellodunon fällt auch die letzte gallische Siedlung und wir finden uns wieder ein am Lagerfeuer, an dem unser Großvater die Geschichte mit einem Ausblick beendet. Auch wenn viele unserer Brüder und Schwestern gestorben sind, so hat doch unsere Kultur überlebt. Unsere Lieder werden noch heute gesungen. Und so wie wir Sie heute singen, so werden sie in Jahrzehnten von unseren Kindern und Kindeskindern gesungen. Unser Vater nimmt eine Flöte zur Hand, beginnt zu spielen und alle um uns herum beginnen zu singen. This is how we will be remebered. This is who we are.

Helvetios

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